Mannheimer Filmsymposium - seit 1986

Von einer No-Budget-Sichtveranstaltung zum anerkannten Symposium mit Tradition

Am Anfang, im Juni 1986, stand die Idee von Heiner und Marion Roß (Metropolis Hamburg), den Mitgliedern des Bundesverbandes kommunale Filmarbeit einmal jenseits von Alltagsarbeit und Funktionärsaktivitäten ein Wochenende zur Sichtung von unbekannten Filmen und ein Forum zur Diskussion von Filmen zu schaffen. Niemand hätte gedacht, dass sich diese Idee zu einer Folge bis heute auswachsen würde.

Die Anfänge

Anlässlich eines Symposiums der Stiftung Deutsche Kinemathek im Juni 1986 war ein Katalog mit Archivfilmen herausgegeben worden. Den Symposiums-Teilnehmern – im Wesentlichen Mitarbeitern von kommunalen Kinos aus der damaligen alten Bundesrepublik – wurden eine Reihe unbekannter Filme aus dem Katalog vorgestellt. Katalog und Filmpräsentation begeisterten die Teilnehmer so sehr, dass die Forderung nach „mehr“ aufkam.

Da ich damals in Personalunion Vorstandsvorsitzender des Bundesverbandes der kommunalen Filmarbeit und des Mannheimer kommunalen Kinos Cinema Quadrat war und die Internationale Filmwoche in Mannheim im Oktober regelmäßig von Montag bis Samstag stattfand, kam die Idee, sich doch am Wochenende vorher im Cinema Quadrat zu treffen, um „noch mehr Archiv-Filme zu sehen“. So kam es zu einer ersten Sichtungsveranstaltung unter dem Titel „Vom Stummfilm zum Tonfilm“ mit ausgewählten Filmen aus der Epoche 1928 bis 1932.

Ein Budget gab es nicht. Die Archive stellten die Filme freundlicherweise kostenlos zur Verfügung in der Hoffnung, dass damit die Filmausleihe angekurbelt werde. Der noch sehr bescheidene Organisationsaufwand wurde von Cinema Quadrat übernommen. Statt Öffentlichkeitsarbeit gab es einen Rundbrief und etwas Mundpropaganda. Trotzdem war die Veranstaltung ausgezeichnet besucht und die Teilnehmer verlangten eine Fortsetzung.

In den folgenden Jahren gab es weiterhin keinen festen Etat. Mit den Verleihen und Archiven wurde um günstige bis kostenlose Filmüberlassung gerungen, die Referenten erhielten ein Taschengeld. Vereinzelt wurde für das spezifische Thema ein Sponsor oder ein mit einem Zuschuss auftretender Kooperationspartner gefunden. In den ersten Jahren waren dies die Bundeszentrale für politische Bildung in Bonn (1987 – 1992), das Metropolis-Archiv, Hamburg (1989, 1990), das Archiv des Filmmuseums, Düsseldorf (1991) oder das Japanische Kulturinstitut, Köln (1995). Über 10 weitere Jahre wurden die Symposien in Mannheim schrittweise ausgebaut.

Dokumentationen

Seit dem 7. Symposium (1992) wurden jährlich gebundene Programmhefte und Reader, sog. Dokumentationen erstellt. An deren Aussehen kann man sehr schön die Entwicklung der Digitalisierung im Printbereich beobachten: Zunächst waren es nur gebundene Fotokopien-Sammlungen, später diente ein Layout-Programm zur Vorbereitung einzelner Seiten und in den letzten Jahren werden die Dokumentationen komplett digital gestaltet und inzwischen sogar farbig gedruckt.

Eine finanzielle Absicherung

Nach den Erfolgen der ersten 11 Jahre und daraus gewachsenen Ansprüchen konnte die Veranstaltung nicht mehr ohne eigenen Etat und Fördermittel auskommen. Die Organisationsarbeit hatte sich verzehnfacht, die Ansprüche der Teilnehmer stiegen, eine regelrechte Öffentlichkeitsarbeit erschien notwendig. Mit einer eigens hierfür zusammengestellten Dokumentation über die Arbeit der vergangenen Jahre machte ich mich Ende 1996 auf die Suche nach Geldgebern für eine institutionelle Einrichtung der Symposien und fand sie in der MFG-Filmförderung, Baden-Württemberg. Seither ist uns die MFG als Förderer geblieben, andere, wie die Stadt Mannheim, die FFA und der/die BKM kamen teilweise dauerhaft oder auch nur zeitweise hinzu. Außerdem konnten zeitweise Firmen wie die BASF, KODAK und die Eichbaum-Brauerei als Sponsoren gewonnen werden.

Dialog zwischen Produktion und Rezeption

Von Anfang an ist der BV kommunale Filmarbeit Mitveranstalter und Partner von Cinema Quadrat. Mit dem BV Kinematografie (seit 1998), dem BV Filmschnitt-Editor (seit 1999) und immer wieder einzeln hinzukommenden Verbänden und Gruppierungen (1991 Deutsche Gesellschaft für Fotografie, 2005 die AG-DOK …) wurden weitere Kooperationspartner gefunden, die teilweise durch die Vermittlung von Referenten, teilweise durch die Mobilisierung von Teilnehmern die Symposien nachhaltig mitprägten. Gerade die Vertreter aus dem produktiven Bereich (Kamera/Schnitt) bieten einen Kontrast zu ähnlichen Veranstaltungen aus dem Bereich der Medien-Wissenschaft und Filmkritik. Der programmatische „Dialog zwischen Produktion und Rezeption“ ist seit 2005 damit zu einem Markenzeichen der Symposien geworden.

Themenbereiche

Zu Beginn befassten sich die Veranstaltungen mit verschiedenen Epochen der Filmgeschichte: vom Stummfilm zum Tonfilm (1986), dem Nachkriegsfilm 1945 – 1955 (1987), den 50er Jahren (1988), dem Hollywood-Studio-System 1930-1960 (1989), dem amerikanischen (1990) und dem französischen Stummfilm (1991).

Dreimal – 1994 mit den frühen Kamera-Pionieren, 1995 mit Nagisa Oshima und 2002 mit Orson Welles – standen bedeutende Persönlichkeiten der Filmgeschichte im Mittelpunkt der Vorträge und Filmvorführungen.

In den Jahren ab 2000 waren die Themen fast philosophischer Natur, wie die Reflexion über das Phänomen der „Zeit im Film“ (2000), über die Grenzen der Realität (2001), über „Wahrnehmung und Gestaltung“ (2003), „Filmische Selbstreflexionen“ (2004) und die „Suche nach der Authentizität im Film“ (2005). Weitere Themen waren „Der filmische Raum“, die Beschäftigung mit der Geschichts-Darstellung in Filmen: „Erinnern – Vergessen – Verarbeiten“ (2007), „Eros und Tod“ (2008) und der Aktualität geschuldet: „Digitale Welten“ (2009), wobei wir jenseits der Technik die Frage stellten, inwieweit die Digitalisierung inhaltlich oder ästhetisch Neues bietet.

Schon früh beschäftigten wir uns mit Einzelaspekten der filmischen Umsetzung: dem Ton (1996), der Lichtsetzung (1998) und der Fotografie, dem Kontrast zwischen stehendem und bewegtem Bild (1999). Seit dem 25. Symposium verfolgen wir die „Teilgewerke“ konsequent mit „Schnitt und Montage“ (2010), Regie (2011), Wahrhaftigkeit im Dokumentarischen (2012), Dramaturgie (2013) und Schauspieler (2014), Zuschauer (2015), Ton im Film (2016), 3 D (2017) und Drehbuch (2018). Mit „Magie der Illusion – Filmtricks und Special Effects“ (2021) und „Production Design, Kostüm und Maske im Film“ (2023) konzentrierten wir uns ebenfalls auf spezifisch filmische, meist nicht so sehr im Fokus der Filmbesucher stehende Bereiche; KI im Film und in der Filmproduktion beleuchtete die aktuellen Chancen und Herausforderungen von Künstlicher Intelligenz.

Nachdem wir nahezu alle Aspekte des Filmemachens beleuchtet hatten, wandten wir und 2019 einem gesellschaftspolitischen Thema, nämlich dem der „Diversität“ zu und haben dabei auf Defizite gerade auch in der Filmbranche verwiesen. Mit „Female Gaze“ (2022) haben wir nach dem anderen weiblichen Blick im Kontrast zu dem bisher noch vorherrschenden männlichen Blick des Hollywood-Kinos gefragt.

Highlights

1988 zum „Kino der 50er Jahre“ organisierte Cinema Quadrat eine kleine Möbelausstellung mit Nierentisch und Jukebox, einen Autokorso und Friseure, die den Teilnehmern Frisuren der 50er Jahre machten: Am Abend fand dann noch eine Rock’n Roll-Party statt.

Das 9. Symposium (1994) fand einen Rahmen in einer großen Kulturveranstaltung im Rhein-Neckar-Dreieck zur „Kunst und Kultur der 20er Jahre“ und erhielt aus diesem Topf einen Zuschuss. Da über die Regiegrößen schon viel publiziert worden war, wurden die „Kameraleute der 20er Jahre“ in den Focus genommen, und ihnen zugleich eine Ausstellung und eine Publikation „Gleißende Schatten“ gewidmet.

Das 10. Symposium (1995) fand in Kooperation mit dem japanischen Kulturinstitut, Köln, und der Japan-Foundation statt und brachte den japanischen Regisseur Nagisa Oshima (1932 – 2013) nach Mannheim. Eine Vielzahl von japanischen Filmen der sog. japanischen „Nouvelle Vague“ (1959 – 1969) wurde damals eigens für das Symposium und für eine anschließende Tournee aus Japan nach Deutschland eingeflogen.

Das 12. Symposium (1997) widmete sich dem Thema „Edward Hopper und das Kino“. Hierzu gelang es mit Hilfe des Deutsch-Amerikanischen Insituts Heidelberg die Biographin des berühmten amerikanischen Malers (1882 – 1967), Gail Levin, aus New York kommen zu lassen. Sie fand das Thema spannend und bestätigte, dass es trotz einer Vielzahl von Bezügen in aktuellen Filmen von Wim Wenders, Terence Davies, John Byrum, Herbert Ross auf das Werk des Malers vorher weltweit noch keine Veranstaltung dieser Art gegeben habe.

Das 17. Symposium (2002) widmete sich dem Werk von Orson Welles. Hierzu kamen durch die Unterstützung von Stefan Drössler vom Filmmuseum München nicht nur Oja Kodar, die letzte Lebensgefährtin des berühmten Regisseurs, sondern auch zwei Kameramänner, die mit Welles zusammengearbeitet hatten, nämlich Gary Graver (1938-2006 – F for Fake, The Trial, Othello) und Willy Kurant (*1934 – Une histoire Immortelle, The Deep) nach Mannheim.

2007, anlässlich des Themas „Erinnern-Vergessen-Verarbeiten – Zum Umgang mit der Vergangenheit im Film“, referierte der aus Mannheim stammende, erfolgreiche TV- und Film-Produzent Nico Hofmann.

Anlässlich des Symposiums zu „Eros und Tod“ (2008) organisierte CQ eine Multivisionsshow zum Stummfilm Nosferatu, der mit Live-Musik im Foyer auf drei Leinwänden aufgeführt wurde und zu dem es auf weiteren zwei Leinwänden Ausschnitte aus anderen Vampirfilmen zu sehen gab.

Und 2011 zum Thema „Regiehandschriften“ war Dominik Graf, einer der bekanntesten deutschen Regisseure, Gast des Symposiums.

2016 anlässlich des Symposiums „Sound of Cinema“ gab es eine Live-Performance von „incite“, einem Audio-Visual-Eletronic-Duo.

2024 enstand in einem von Medienkünstler Benjamin Jantzen geleiteten Workshop ein KI-Kurzfilm.

Es geht weiter!

Die Kontinuität und der Erfolg von Symposiums-Arbeit seit 1986 fordert heraus, weiter zu- machen. Seit Jahren gibt es einen Symposiumsausschuss, der die umfangreiche Organisationsarbeit – ehrenamtlich – auf verschiedene Schultern verteilt. Die finanzielle Unterstützung, inzwischen paritätisch zwischen Stadt und Land verteilt, erscheint auch weiterhin gesichert. So können und wollen wir die Arbeit fortsetzen mit immer wieder spannenden Themen für Teilnehmer – Fachleute wie interessierte Laien –, die diese Arbeit schätzen.

Die Reflektion über Film, der Dialog zwischen Produktion und Rezeption wird in Mannheim so auch weiterhin ein Forum haben.

Liste der Themen

  • 2024 KI im Film und in der Filmproduktion
  • 2023 Production Design, Kostüm und Maske im Film
  • 2022 Female Gaze – Der weibliche Blick
  • 2021 Magie der Illusion – Filmtricks und Special Effects in der filmischen Erzählung
  • 2020 Ausfall aufgrund der Corona-Pandemie
  • 2019 R.E.S.P.E.C.T – Perspektiven der Diversität
  • 2018 Magie des filmischen Erzählens – Vom Drehbuch zum Film
  • 2017 3D: Eine neue Dimension? 2016 – Sounds of Cinema
  • 2015 Zuschauer(t)räume – Was geschieht zwischen Leinwand und Publikum?
  • 2014 Schauspielen im Film
  • 2013 Dramaturgie der Spannung – Das Spiel mit dem Zuschauer
  • 2012 24 x Wahrheit in der Sekunde – Filmemachen zwischen Dokumentation und Fiktion
  • 2011 Regie-Handschriften zwischen Genre, Stil und Handwerk
  • 2010 Schnitt – Montage – nicht/lineare Erzählstrukturen
  • 2009 Digitale Welten – Reine Technik oder künstlerische Chance?
  • 2008 Eros und Tod – Leidenschaft und Grenzerfahrung im Film
  • 2007 Erinnern – Vergessen – Verarbeiten – Vom Umgang mit der Vergangenheit im Film
  • 2006 Der filmische Raum
  • 2005 Inszenierte Wahrheit – Auf der Suche nach dem Authentischen im Film
  • 2004 Filmische Selbstreflexivität – Film im Film, Metafilm, Film-Analyse
  • 2003 Wahrnehmen und Gestalten – Das Spiel zwischen Filmemacher und Betrachter
  • 2002 Orson Welles Revisited – Kino – Theater – Radio – TV
  • 2001 Jenseits der Realität – Vom Surrealismus zu virtuellen Welten
  • 2000 Zeit im Film
  • 1999 Film und Fotografie im Dialog
  • 1998 Licht – Malerei – Licht- und Schatteninszenierungen und Farbdramaturgie
  • 1997 Edward Hopper und das Kino
  • 1996 Ton – Spuren – Von den Anfängen des Tons im Kino bis zum Sounddesign
  • 1995 Nagisa Oshima und das japanische Kino der 60er Jahre
  • 1994 Kamera, Licht und visueller Stil – Kamerapioniere der 20er Jahre
  • 1993 Hommage – Zitat – Remake — Selbstreferenzen im Film
  • 1992 Verändert, gekürzt, zensiert — Vom Umgang mit Filmen
  • 1991 Surreal und irreal – Tendenzen im französischen Stummfilm
  • 1990 Bevor die Bilder sprechen lernten – Der amerikanische Stummfilm
  • 1989 Hollywood at it´s best – Das Hollywood – Studiosystem von 1930 – 1960
  • 1988 Die 50er Jahre im Kino
  • 1987 Die Zeit des Nationalsozialismus im deutschen Spielfilm 1945 – 1955
  • 1986 Vom Stummfilm zum Tonfilm – Deutsche Filme 1928 – 1933

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