39. Mannheimer Filmsymposium
10.10. bis 12.10.2025

Vorträge

Das 39. Mannheimer Filmsymposium behandelt das Thema „Körper-Kino: Zur filmischen Inszenierung von Körperlichkeit“.

10. Oktober 2025 15:30

Eröffnungsvortrag: Aufregung, Erregung, Auflösung – Zum Begriff und zur Entwicklung des Körper-Kinos

Christan Fuchs, Journalist, Radiomoderator; Wien

Filmtheoretikerinnen wie Carol J. Clover und Linda Williams bestimmten die sogenannten Low Body Genres: Horrorfilm, der es sich mit Darstellungen von bedrohten, zerstückelten Körpern Angstschweiß und Ekel hervorruft, der pornografische Film, der durch nackte Körper die Erregung des Publikums zum Ziel hat, das Melodram, das Tränen evoziert.

Aufregung, Erregung, Auflösung: Ausgehend von diesen „niedrigen“ Body Genres geht es in dem Vortrag auch um moderne Hybridformen. Betrachtet man bestimmte Werke zeitgenössischer Filmemacher wie etwa Gaspar Noé, Coralié Fargeat, Julia Ducournau oder von Urvätern wie David Lynch, David Cronenberg und Andrzei Żuławski, dann operieren diese mit physischen (oft gewalttätigen und manchmal auch sexuell expliziten) Bildern wie die exzessivsten Body Genre-Werke, wollen aber klare Genre-Kategorisierungen radikal überschreiten. Es sind Filme jenseits von „High“- und „Low“-Art. Für Christian Fuchs ist dieses hybride Körperkino das zentrale Kino der Gegenwart.


Christian Fuchs, geboren in Graz, lebt und arbeitet als Journalist und Musiker in Wien. Magister der Theaterwissenschaften, Diplomarbeit 2002 „Körperkino/Kinokörper: Von den Bodygenres zu einem neuen physischen Film“. Den Radiosender FM4 versorgt Fuchs seit dessen Gründung mit Film- und Pop-Beiträgen, sowohl on Air als auch online. Zusammen mit Pia Reiser und Gästen ist er auch Teil des wöchentlichen FM4 Filmpodcast. Dazu kommt die regelmäßige Radio-Rockshow „House of Pain“.

Christian Fuchs veröffentlichte die Bücher „Kino Killer“ (Edition S, 1995), „Bad Blood“ (Creation Books, 2002) und „Das Glühen – Im Dunkeln: Wie Filme mir das Leben retteten“, Milena 2024). Daneben gibt es musikalische Veröffentlichungen, früher mit den Bands Fetish 69, Bunny Lake und Neigungsgruppe Sex, Gewalt & Gute Laune, aktuell mit der Wienerlied-Rock’n’Roll-Band Die Buben im Pelz. Daneben betreibt er das cinematische Bandprojekt Black Palms Orchestra.

https://fm4.orf.at/tags/fuchs

Instagram: christian_fuchs_vienna

10. Oktober 2025 17:00

Vortrag 2: Haltung bewahren. Eine kleine Geschichte komischen Körper des Kinos

Philipp Stadelmaier, Filmkritiker, Autor; Wien

Körper, die herausfallen aus der dramatischen Handlung und der filmischen Bewegung, die versuchen, sich im Fallen zu halten, Haltung und Würde zu bewahren: Kein anderes filmisches Genre hat solche Situationen genauer beschrieben als das komische: die Burleske, die Komödie. Und kein anderer Affekt enttarnt den wahren „Körper des Kinos“ besser als das Lachen. Der Vortrag folgt (mit vielen Filmbeispielen) der – durchaus diskutablen – These des französischen Filmkritikers Serge Daney, dass sich diese fallenden, herausfallenden oder auffälligen Körper der Komödie vom Stummfilm bis in die Gegenwart zunehmend immobilisieren: Von Buster Keaton und Charlie Chaplin bis zur Stand-up-Comedy der JOKER-Filme.


Philipp Stadelmaier ist Filmkritiker und Autor. Studium der Komparatistik in Frankfurt a.M., Promotion in Filmwissenschaft in Frankfurt und Paris. Schreibt seit 2012 für die Süddeutsche Zeitung und andere Medien. Sein Essay „Die mittleren Regionen“ (Verbrecher Verlag) wurde mit dem Clemens Brentano Preis ausgezeichnet. 2019 erschien sein Romandebüt „Queen July“ (Verbrecher Verlag), 2023 seine Dissertation zu Serge Daney und Jean-Luc Godard, „Die Kommentatoren des Post-Cinema“ (Transcript Verlag)

11. Oktober 2025 09:30

Vortrag 3: Metal Bodies – Optimierung von Körpern und ihre Konsequenzen

Niklas Michels, Filmfestivalleiter, Filmkritiker; Aachen

Die Verschmelzung von Mensch und Maschine ist eines der zentralen ästhetischen Motive des Körper-Kinos – ein Motiv, das gleichermaßen Hoffnung auf Befreiung wie Angst vor Kontrollverlust hervorbringt. Dieser Vortrag untersucht die filmische Inszenierung techno-organischer Körper am Beispiel des japanischen Underground-Films TETSUO: THE IRON MAN (1989) von Shin’ya Tsukamoto sowie David Cronenbergs VIDEODROME (1983). Beide Werke thematisieren das Spannungsfeld zwischen technophiler Utopie und technophober Dystopie. Der Vortrag verbindet – in der Arbeit mit den exemplarischen Filmen – medienästhetische und filmtheoretische Perspektiven und versteht sich als Beitrag zu einer interdisziplinären Kartografie technologischer Ästhetik im Zeitalter hybrider Körper und Cyberphobie.


Niklas Michels ist Festivaldirektor und Kurator des Filmfest Aachen sowie freier Autor für das Filmkritik-Magazin Kino-Zeit. Neben seiner Arbeit in der Filmlandschaft arbeitet er am Lehrstuhl für Angewandte Ethik der RWTH Aachen University und am Fraunhofer-Institut IEM im Schnittfeld von Ästhetik und Künstlicher Intelligenz. 2025 präsentierte er in einem TEDx Talk die vielschichtigen Beziehungen zwischen KI und Kunst. Im Rahmen des Transhumanismus-Symposiums an der John Cabot University in Rom stellte er eine Verbindung zwischen Body Horror und Technikpessimismus vor. Michels beschäftigt sich intensiv mit Fragen der Sichtbarkeit durch Kuration und wurde für seine Arbeit von der Stadt Aachen als „Morgenmacher“ ausgezeichnet.

11. Oktober 2025 11:00

Werkstattbericht 1: Intimitätskoordination: Zwischen künstlerischer Freiheit und professioneller Sicherheit

Florian Federl, Intimitätskoordinator, Stuntchoreograf; Berlin

Intimitätskoordination hat sich in den letzten Jahren als unverzichtbarer Bestandteil professioneller Film- und Fernsehproduktionen etabliert. In seinem Vortrag beleuchtet Florian Federl die Entwicklung dieses Berufsbildes von seinen Ursprüngen in den USA bis zur aktuellen Praxis im deutschsprachigen Raum.

Der Werkstattbericht erläutert auch anhand konkreter Beispiele die zentralen Aufgaben und Arbeitsweisen einer Intimitätskoordination von der Analyse des Drehbuchs über die Zusammenarbeit mit Regie, Kamera und Schauspielenden bis hin zur Choreografie intimer Szenen. Dabei geht Federl auf häufige Missverständnisse ein und zeigt auf, wie durch klare Kommunikation und strukturierte Prozesse ein kreativer Raum entsteht, in dem sich alle Beteiligten sicher und respektvoll bewegen können.


Florian Federl ist Intimitätskoordinator, Stuntkoordinator und Schauspieler mit Sitz in Berlin. Nach seinem Schauspielstudium an der Akademie für Darstellende Kunst Ulm arbeitete er an verschiedenen Theatern im festen Ensemble und stand für über 20 Kurzfilme und eine Serie vor der Kamera. Seine Ausbildung in Intimitätskoordination absolvierte er im Netflix Intimacy Coordination Development Program für die EMEA-Region.

Als zweiter Vorsitzender des Berufsverbands Intimitätskoordination und Kampfchoreografie (BIK) setzt er sich seit 2019 für mehr Sicherheit und professionelle Standards in der Branche ein. In den letzten Jahren hat er neben der Betreuung diverser Film- und Fernsehproduktionen vermehrt an Hochschulen zum Thema Intimitätskoordination mit Studierenden und Lehrenden gearbeitet.

Er arbeitet als Intimitätskoordinator unter anderem an:

  • Nord bei Nordost – Aller guten Dinge (ARD, Degeto, NDR 2025)
  • Tatort – Die Letzte macht das Licht aus (RBB, 2024)
  • Fall for Me (Netflix, 2024)
  • Cassandra (Netflix, 2023)
  • Holy Meat (Kinospielfilm, 2023)
  • Unsere wunderbaren Jahre (ARD, 2022)

Weitere Informationen finden Sie auf seiner Website: florianfederl.de

11. Oktober 2025 16:30

Vortrag 4: Weiblichkeit, Sexualität und Abjektion: Zur Inszenierung weiblichen Begehrens

Lioba Schlösser, Filmwissenschaftlerin; Köln

Weibliche Sexualität wird im Horrorfilm oft mit etwas Bedrohlichem, Übermenschlichem, gar Tödlichem assoziiert. Wenn weibliche Lust geweckt wird, scheint sie unkontrollierbar und nahezu zerstörerisch. Durch das Erwecken von Schock, Ekel oder Angst werden physische Reaktionen evoziert, die das Gesehene negativ konnotieren können. Die Frau auf der Leinwand wird in dieser Konnotation vielleicht sogar zur Urheberin dieser Erlebnisse. Hinter einer solchen Inszenierung steht jedoch auch ein Bruch mit gesellschaftlichen Vorstellungen und Konventionen um eine passive weibliche Sexualität, die Frau wird vom Objekt zum handelnden Subjekt. Einige Genrefilme inszenieren diese Handlungen als radikale und durchaus anti-patriarchale Konsequenzen der Subjektwerdung und Machtaneignung der Frau. An Beispielen aus zeitgenössischen Horrorfilmen wird der Angst vor weiblicher Lust und ihrer ambivalenten Inszenierung nachgegangen.


Dr. Lioba Schlösser ist Filmwissenschaftlerin und vertritt aktuell die Professur für Bildwissenschaft, Theorie der Wahrnehmung, Kommunikation und Medien an der Münster School of Design, FH Münster. Außerdem arbeitet sie als Koordinatorin für Gleichstellung und Diversity an der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf und unterrichtet als Dozentin an der Filmakademie Ludwigsburg. Ihre Forschungsgebiete sind Gender- und Queer Studies, Mythen- und Körpertheorie sowie körperpolitische Diskurse um Normativität in Film und Serie.

Ihre jüngste Publikation ist Schlösser, Lioba (2025): Diversity in Pixar Films. How Does CGI Influence the Diversity of Character Representation? In: Grabbe, Rupert-Kruse, Schmitz (eds.): The Digital Condition of Moving Image. Marburg, Büchner-Verlag.

11. Oktober 2025 18:00

Vortrag 5: Bodyhorror als Königsweg des female gaze? Körperbilder und Publikumskörper

Peter Scheinpflug, Medienkulturwissenschaftler; Köln

Laura Mulvey beschrieb 1975 den „male gaze“, den männlichen Blick, der das Hollywoodkino bestimme.

Aktuelle feministische Filme wie PROMISING YOUNG WOMAN (2020), BARBIE (2023), THE SUBSTANCE (2024) oder auch LOVE LIES BLEEDING (2024) machen Körperlichkeit gleich dreifach spürbar: die Körperlichkeit des Filmteams, die Körperlichkeit der Figuren und die eigene Körperlichkeit des Publikums bei der Filmrezeption. Diese Filme, die alle dem Publikum einen female gaze anbieten, nutzen dafür sehr verschiedene narrative und ästhetische Strategien und reichen von Rape’n’Revenge über Bodyhorror bis hin zum Blockbuster.


Weil die Hochschule für Fernsehen und Film in München seine Bewerbung ablehnte, studierte Peter Scheinpflug Theater-, Film- und Fernsehwissenschaft, Germanistik und Soziologie in Köln. Von 2009 bis 2010 studierte und lehrte er an der renommierten Washington University in Saint Louis (USA), wo er auch seinen Masterabschluss machte. Daraufhin kehrte er jedoch nach Köln zurück für das Promotionsstudium und wurde 2013 im Fach Theater-, Film- und Fernsehwissenschaft mit der Arbeit Formelkino. Medienwissenschaftliche Perspektiven auf die Genre-Theorie und den Giallo (2014) promoviert.

10 Jahre forschte und lehrte Peter Scheinpflug am Institut für Medienkultur und Theater der Universität zu Köln, bevor er 2023 nach Mannheim ans Seminar für Deutsche Philologie kam, um seine Forschung zum deutschen Film und insbesondere zum Neuen Deutschen Genrefilm zu intensivieren.

Gerade hat Peter Scheinpflug zwei Langzeitprojekte beendet: nämlich die Monographie Medien begreifen. Eine medienanthropologische Theorie der Taktilität und das allererste umfassende Handbuch zu Christoph Schlingensief. Seitdem arbeitet Peter Scheinpflug an der allerersten grundlegenden Studie zum aktuellen deutschen Genrefilm. Darüber hinaus hat er u.a. zur Geschichte des deutschen Films und Fernsehens, zu Touchscreens, zu Weihnachtsfilmen, zu Comics und zu Filmklassikern wie METROPOLIS, DIE JUNGFRAUENQUELLE oder ANUSCHKA – ES BRENNT MEIN SCHATZ!

12. Oktober 2025 12:15

Werkstattbericht 2: Stunt-Koordination und Kampfstile (in englischer Sprache)

Moustafa Hammad, Fight Choreographer, Action Director; Mannheim

Moustafa Hammad ist Kampfchoreograf, Actionregisseur, Schauspieler, Action Editor und Actiondarsteller. Er hat Filmregie in Ägypten studiert und seit 2006 an verschiedenen Projekten in Ägypten und Deutschland gearbeitet. Er ist ehemaliger Kickbox-Champion und hat viele weitere Kampfsportarten wie Kung-Fu, Taekwondo, Muay Thai, Kudo, Shidokan und Jeet Kune Do praktiziert. Mit 30 Jahren Kampfsporterfahrung hat er Schauspieler*innen in der ägyptischen und deutschen Filmbranche darin gecoacht, wie man Kampfszenen im Film überzeugend umsetzt.

Er wird verschiedene Kampfstile vorstellen, den Unterschied zwischen asiatischen und amerikanischen Martial-Arts-Filmen thematisieren und erläutern, wie man einen Kampf choreografiert.


Moustafa Hammad is a fight choreographer, action director and actor, action editor and action actor. He studied Filmmaking in Egypt. He has worked on several projects in Egypt and Germany since 2006. He is a former kickboxing champion and has done many other martial arts such as Kungfu, Taekwondo, Muay Thai, Kudo, Shidokan, Jeet Kune Do. He has 30 years of martial arts experience and coached actors in the Egyptian and German film industry how to perform fight scenes in movies.

12. Oktober 2025 13:45

Vortrag 6: Physische Geistesgegenwart: Lob des Körperschauspielers

Gerhard Midding, Filmkritiker; Berlin

Nur wenigen Darstellern gelingt es, ihren Körper wie ein Instrument zu führen. Der Japaner Toshiro Mifune gehört hier in die allererste Reihe. Bei ihm verschmelzen Handeln und Ausdruck auf einzigartige Weise und gewinnen nicht nur eine psychologische, sondern auch eine moralische Dimension. Von ihm soll eine kleine Phänomenologie dieses Schauspielertypus ausgehen, die unterschiedliche Aspekte des Gestischen beleuchtet, darunter Steve McQueens souveräne Beherrschung der Requisiten; die fiebrige Sinnlichkeit, die sich in den Musicals von Cyd Charisse Bahn bricht; die laszive Agilität der Film-Noir-Heroine Gloria Grahame; die athletisch-analogen Stunts von Tom Cruise sowie die Besitznahme des öffentlichen Raums durch Daniel Craig als James Bond.


Gerhard Midding: Filmpublizist mit zahlreichen Veröffentlichungen. Studium der Theaterwissenschaft, Kunstgeschichte und Literaturwissenschaft, arbeitet als Arbeit als freier Journalist, Herausgeber und Übersetzer. Sein Schwerpunkt ist das französische Kino.

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